Jugendliche und Suizidalität

Unter dem Begriff Suizidgefährdung, auch Suizidalität, versteht man einen psychischen Zustand, bei dem Gedanken und Verhalten eines Menschen darauf ausgerichtet sind, den eigenen Tod selbst zu verursachen, d.h. Suizid zu begehen. Dazu zählen v.a. Suizidgedanken, Suizidpläne, Suizidankündigungen, Suizidpakte bzw. Suizidverabredungen und Suizidversuche.

Suizidale Gedanken oder Handlungen werden nicht an sich als Krankheit eingeordnet. Sie stellen aber oft den Abschluss einer krankhaften Entwicklung dar. In jedem Fall sind sie Ausdruck einer äußeren oder inneren Not und sollten als ein ernst zu nehmendes Zeichen einer akuten Krise gesehen werden.

Der Themenschwerpunkt erklärt, in welcher Form Jugendliche im Internet auf suizidbefürwortende Inhalte stoßen können und gibt Handlungstipps für Eltern, Pädagog*innen und Angehörige von Betroffenen.

Suizidgedanken bei Jugendlichen

Was steckt dahinter?

Hinter Suizidgedanken bei Heranwachsenden muss nicht immer eine psychische Erkrankung stecken. Die Beschäftigung mit dem Thema Tod oder der Frage nach dem Sinn bzw. der Sinnlosigkeit des Lebens ist im Jugendalter nichts Außergewöhnliches, sondern ein charakteristischer, von Zweifeln geprägter Denkprozess in der schwierigen Entwicklungsphase der Pubertät. Junge Menschen sind oft unsicher, überfordert oder manchmal auch unzufrieden mit ihrem Leben. Zudem muss die allgemeine Attraktivität der Thematik Suizid bzw. Tod für Jugendliche beachtet werden – unter anderem auch, weil hier bestehende Tabus gebrochen und Grenzen überschritten werden können.

Auslöser für ernsthafte Suizidgedanken bzw. gar einen Suizid(versuch) ist oftmals eine krisenhafte Situation: Mobbing in der Schule, Liebeskummer, ein Konflikt mit dem besten Freund oder der besten Freundin, familiäre Probleme, Schulversagen oder generelle Versagensängste. In der eigenen Einschätzung der Heranwachsenden werden diese Schwierigkeiten in der Regel unrealistisch negativ gesehen. Die Betroffenen fühlen sich außerstande in der bisherigen Art und Weise weiterzuleben und haben die Hoffnung verloren, dass sich die Situation doch noch einmal zum Guten wenden könnte. Der Suizid wird als scheinbar einzige Lösung auf eine nicht mehr zu bewältigende Situation gesehen.

Die Ursachen für die Suizidalität liegen in der Regel aber tiefer und sind ein komplexes Zusammenspiel aus den bisherigen Lebenserfahrungen, dem sozialem Umfeld, der individuellen Persönlichkeitsstruktur und psychischen Situation sowie der familiären und schulischen Erlebniswelt der Betroffenen.

Grundsätzlich spielen Depressionen oder depressive Verstimmungen bei Kindern und Jugendlichen eine große Rolle für eine Suizidgefährdung, ebenso große Bedeutung haben Gewalterfahrungen in der Familie, sexueller Missbrauch und/oder negative Erfahrungen hinsichtlich der eigenen Homosexualität. Weitere Risikofaktoren für suizidale Handlungen sind: Psychosen, Suchterkrankungen, stark ausgeprägte aggressive Verhaltensstörungen oder Impulskontrollstörungen.

Hinweise und Alarmzeichen

Suizidgefährdete Kinder und Jugendliche senden in der Regel direkt oder indirekt Signale aus. Sie wünschen sich, dass jemand darauf reagiert. Hinweise und Alarmzeichen für eine Gefährdung können sein:

  • sozialer Rückzug, Abbruch von sozialen Kontakten,
  • traurige, gedrückte Stimmung sowie Stimmungsschwankungen,
  • ausgeprägte Hoffnungslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektive,
  • Veränderung der äußeren Erscheinung und körperliche Symptome,
  • schriftliche oder verbale Äußerungen, z. B. Anspielungen wie „Bald habe ich das alles hinter mir“,
  • das Verschenken von geliebten Dingen,
  • konkrete Handlungen zur Vorbereitung einer suizidalen Handlung,
  • suizidbezogene Zeichnungen und Symbole,
  • aggressiv abwehrendes Verhalten.

Suizidforen

Von konstruktiver Hilfe bis Selbstmordgedanken

Über ihre Suizidgedanken tauschen sich Menschen auch online aus. Insbesondere in sogenannten Suizidforen findet ein reger Austausch zwischen Menschen statt, die sich in Lebenskrisen befinden. Einige Angebote bieten konstruktive Hilfe, andere sind wiederum problematisch, weil sie Betroffene in ihren Suizidabsichten bestätigen. In diesen prosuizidalen Foren wird der Suizid als alleinige, alternativlose Lösung dargestellt.

Es gibt immer wiederkehrende Webinhalte, die sich besonders gefährdend auf jugendliche Nutzer*innen auswirken und sie in ihren Suizidabsichten bestärken können. Problematisch sind vor allem Angebote, Profile und Beiträge, die den Suizid einseitig verharmlosen oder gar verherrlichen und als möglichen oder aber einzig folgerichtigen Ausweg darstellen, um sich von Problemen zu befreien. Dazu zählen insbesondere detaillierte Methodendiskussionen (zur möglichst effektiven Suizidmethode, zur Beschaffung der Suizidmittel und zur Wahl des Ortes), Schilderungen über Suizidversuche, aber auch Suizidankündigungen, Suizidpartnersuchen und -verabredungen.

Weiterhin gibt es besonders in den bei Jugendlichen beliebten Communities und Videoplattformen den Trend zum Posten von prosuizidalen Beiträgen, d.h. verherrlichende Suizid-Bilder, -Videos oder –Erlebnisberichte. Betrachten Betroffene mit Suizidabsichten solche Inhalte, können Erinnerungen an eigene negativen Gefühle und Erlebnisse entstehen, was wiederum den Drang auslösen kann, sich erneut selbst zu gefährden. Diese Wirkung bezeichnet man als Trigger (engl.: "to trigger" = "auslösen).

Bei Social Media Angeboten stößt man außerdem immer wieder auf Profile, Videos und Bilder, in denen Darstellungen von Suiziden mit Inhalten aus den Bereichen Selbstverletzungen und/oder Essstörungen kombiniert werden. Die Nutzung von Hashtags bringt in der Suchfunktion der Dienste eine ganze Bandbreite extremer Inhalte hervor (Quelle: Ging & Garvey (2017). In den meisten großen Social-Media-Diensten werden die bekannten und sehr eindeutigen Suizid-Hashtags allerdings mittlerweile blockiert. Besonders prägnant ist die große Überschneidung bei Suizid- und Selbstverletzungs-Inhalten. Die Konfrontation mit derartigen Inhalten kann bei Kindern und Jugendlichen gefährdende Verhaltensweisen auslösen oder verstärken, wenn nicht sogar zum Ausprobieren weiterer Gefährdungsarten anregen.

Tipps

Tipps für das Verhalten gegenüber Betroffenen

Eltern sollten zunächst immer offen mit ihren Kindern über ihr Internetverhalten und ggf. auch über das Thema Suizid reden. Grundsätzlich gilt: Sollten Ihnen Internetseiten, Profile, Posts oder Gruppen auf Social-Media-Plattformen mit verharmlosenden oder gar verherrlichenden Suiziddarstellungen auffallen, dann melden Sie diese bitte immer zuerst an den Support der Plattform (z.B. über die Meldefunktion). Die Plattformbetreiber tragen als Anbieter von Speicherplatz für fremde Inhalte eine große Verantwortung. Sie können am schnellsten und effektivsten dazu beitragen, dass Kindern und Jugendlichen der Zugang zu diesen Inhalten erschwert wird.

Vermuten Sie suizidale Verhaltensweisen bei Ihrem bzw. einem Kind, sollten Sie es nicht mit Appellen, Forderungen oder gar Zwang überfallen. Zunächst einmal: Es ist ganz normal, sich in einer solchen Situation hilflos und überfordert zu fühlen. Bewahren Sie Ruhe und reagieren Sie nicht mit Panik, Vorwürfen oder Drohungen.

Versuchen Sie die oder den Betroffenen direkt anzusprechen. Nehmen Sie dabei eine möglichst neutrale, wertfreie Haltung ein. Teilen Sie sehr deutlich die eigenen Sorgen und Befürchtungen mit. Sprechen Sie die Angst vor einer Suizidhandlung konkret und sehr direkt an (ohne Umschreibungen oder Verharmlosungen!). Signalisieren Sie, dass Sie als Ansprechperson zur Verfügung stehen. Falls Gesprächsbereitschaft besteht, können Sie fragen, was im Leben so belastend ist und was Sie dazu beitragen können, dass die Probleme besser angegangen und verarbeitet werden können. Fragen Sie nach, wie ernst es mit den Suizidabsichten ist. Bemühen Sie sich, Alternativen zum Suizid aufzuzeigen.

Wenn die oder der Betroffene nicht gesprächsbereit ist, müssen Sie nicht untätig bleiben. Teilen Sie Ihre Beobachtungen einem anderen Menschen oder Kollegen, dem Sie vertrauen, mit. Überlegen Sie gemeinsam, wer Sie in dieser Situation unterstützen könnte oder wen Sie als Nächstes informieren sollten.

Holen Sie sich möglichst professionelle Unterstützung. Gerade Erwachsene, die unsicher sind, wie das Verhalten von betroffenen Kindern oder Jugendlichen zu bewerten ist, sollten sich möglichst Rat und Hilfe, wie die Situation am besten angegangen werden sollte, bei entsprechenden Beratungsstellen holen.

Professionelle Hilfe in akuten Krisensituationen finden Sie z. B. bei Schulpsychologischen Beratungsstellen, in Erziehungsberatungsstellen oder in Mädchen- und Frauentreffs.

Sie können schwer einschätzbare Inhalte auch von Expert*innen auf ihr Gefährdungspotenzial prüfen lassen. Hierbei können Sie sich beispielsweise an www.jugendschutz.net oder an www.internetbeschwerdestelle.de wenden.

Tipps für den Umgang mit akuten Gefährdungssituationen

Falls es eindeutige Hinweise gibt, die darauf schließen lassen, dass eine Suizidhandlung unmittelbar bevorsteht, wenden Sie sich direkt an die örtliche Polizei oder rufen Sie einen Krankenwagen. Es gilt die Regel, je konkreter die Suizidgedanken sind, desto größer ist die Gefahr und desto mehr Handlungsbedarf besteht.

Wenn die Suizidgefährdung bereits sehr ausgeprägt ist, sollten Sie sich unmittelbar um eine stationäre Behandlung bemühen oder auch hier einen Krankenwagen rufen. Hierfür brauchen Sie keine Ein- oder Überweisung von einem Arzt, sondern können die Betroffenen direkt in der nächst gelegenen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik aufnehmen lassen. Zur genauen Diagnostik ist die Zusammenarbeit mit erfahrenen Fachleuten unerlässlich. In der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie finden Sie Fachkräfte für Diagnose, Therapie, Prävention und Rehabilitation bei Suizidgefährdung.

Sollten Sie daran zweifeln, ob eine akute Suizidgefährdung besteht, gehen Sie kein Risiko ein. Stellen Sie die oder den Betroffenen bei Fachleuten aus den Bereichen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie oder aber der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie vor. Lassen Sie dann die Fachleute entscheiden, ob eine stationäre Behandlung sinnvoll und notwendig erscheint. Unter www.bptk.de beziehungsweise unter www.bundesaerztekammer.de finden Sie entsprechende Fachleute.

Weitere Tipps

  • einen guten und vertrauensvollen Kontakt herstellen und gedultig und aufmerksam Zuhören
  • Akzeptanz dafür, dass gerade in der Pubertät andere Erwachsene eher ins Vertrauen der Jugendlichen gezogen werden
  • Hinweise und Alarmzeichen für eine Gefährdung ernst nehmen und offen darüber sprechen, auch von den eigenen Problemen und Ängsten im Zusammenhang mit Suizidgedanken sprechen
  • Vermeidung von Vorhaltungen oder Schuldzuweisungen, sondern Rückhalt geben
  • körperliche Nähe anbieten - auf Freiwilligkeit achten und nicht zur Nähe zwingen,
  • keine Verbote und Bestrafungen aussprechen
  • konkret nach Suizidgedanken fragen - die Sorge, dadurch Suizidimpulse anzuregen, ist unbegründet
  • vermitteln von Zuversicht, dass es Hilfe gibt, auch wenn die oder der Betroffene zunächst abwehrend reagiert
  • sich umfassend über suizidales Verhalten und professionelle Hilfsangebote informieren (Bücher, Internet, Austausch mit Betroffenen)
  • Beachtung der Grenzen eigener Hilfebemühungen, d.h. lieber begrenzte, zuverlässige Hilfe anbieten als Versprechungen machen, die zu Enttäuschungen führen
  • sich selber Hilfe suchen, wenn Sie merken, dass Sie sich schlecht fühlen oder sich in Ihren normalen Aktivitäten zunehmend gelähmt fühlen

  • ignorieren, leugnen,
  • ängstliche Vermeidung des Themas - dies verstärkt die ohnehin vorhandenen Scham- und Schuldgefühle bei Jugendlichen,
  • Vorwürfe,
  • das Stellen eines Ultimatums,
  • Versprechungen machen, die man nicht einhalten kann („Ich bin immer für dich da, Tag und Nacht“),
  • eigene Grenzen missachten.

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf digitale Teilhabe in der Gesellschaft. Junge Userinnen und User sollten Online-Angebote selbstbestimmt, kritisch und kreativ, vor allem aber unbeschwert nutzen können. Dies erfordert einen zeitgemäßen Jugendschutz mit regulatorischen, technischen und erzieherischen Komponenten. Während jüngere Kinder mehr Schutz benötigen, werden mit zunehmendem Alter größere Freiheiten und Kompetenzen zum Selbstschutz wichtiger. Ergänzend benötigen Eltern und pädagogische Fachkräfte Tipps und praktische Hilfestellungen für die Medienerziehung.

Es ist wichtig, dass Eltern ihre Kinder aktiv im Internet begleiten, Bescheid wissen, wo sich ihr Kind mit wem austauscht, welche Themen, Dienste und Apps gerade angesagt sind und bei Problemen ein offenes Ohr haben. So können Eltern früh entgegenwirken, wenn ihr Kind in ein ungeeignetes Online-Umfeld gerät. Stärken Eltern das Selbstvertrauen und die Medienkompetenzen des Kindes, kann es sich leichter von gefährdenden Inhalten und Personen distanzieren. Generell ist es ratsam, dass Eltern ihrem jugendlichen Kind empfehlen, Webangebote, Foren, aber auch Profile von Gruppen und einzelnen Usern sowie Freundschaftsanfragen genau zu prüfen.