Zum Weltfrauentag 2024:Sexismus im Netz – kein Kavaliersdelikt!
Laut Duden ist Sexismus die „Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei, und die [daher für gerechtfertigt gehaltene] Diskriminierung, Unterdrückung, Zurücksetzung, Benachteiligung von Menschen, besonders der Frauen, aufgrund ihres Geschlechts“.
Sexismus im Netz hat viele Gesichter: Manchmal ist er knallhart und offensichtlich. Ein anderes Mal ist er gar nicht so leicht zu erkennen. Herablassende Kommentare, vermeintlich „lustige“ Memes, in denen Frauen lächerlich gemacht werden, Drohnachrichten und sexuelle Gewalt – wie im echten Leben bleibt Frauen auch im Internet nichts an Anfeindung und Grenzüberschreitung erspart.
Mansplaining
Unter Mansplaining versteht man die ungefragte und herablassende Erklärung oder Belehrung eines Mannes, der selbstverständlich davon ausgeht, mehr über einen bestimmten Gesprächsgegenstand zu wissen, als sein weibliches Gegenüber. Der Mann hat dabei keinerlei Interesse an einem ebenbürtigen Wissensaustausch.
Die Überzeugung, im Recht zu sein und die Deutungshoheit zu einem bestimmten Sachverhalt zu haben, gründet auf veralteten Geschlechterstereotypen, die Männer als gebildeter, intelligenter und erfahrener als Frauen darstellen.
Mansplaining führt Frauen häufig in ein Dilemma: wehrt sich die Betroffene gegen die herabsetzende Belehrung, kann es zu einer erneuten Abqualifizierung kommen („Sei doch nicht so überempfindlich“). Setzt sie dem Mansplaining nichts entgegen, bleiben ein fader Geschmack und schlechte Gefühle zurück. Auf lange Sicht leidet möglicherweise auch das Selbstvertrauen der Frau.
Slutshaming
Eine andere Form der Herabwürdigung von Frauen ist das Slutshaming. Frauen, die sich offen zur ihrer Sexualität äußern, die Spaß an Sex haben, oder die häufiger ihre Partner*innen wechseln, werden als „Schlampen“ bezeichnet und für ihr Verhalten abgestraft.
Aber auch wenn sich Frauen aus Sicht des Umfelds zu „freizügig“ kleiden, werden sie häufig von außen sexualisiert. Maßstab für die Bewertung ist dabei ausschließlich die Einschätzung des Umfelds. Die Verantwortung für ein angemessenes Kleiden und Verhalten wird dabei ausschließlich bei den Frauen gesehen. Wenn der Rock zu kurz ist, braucht Frau sich nicht zu wundern, wenn sie sexuell belästigt oder im schlimmsten Fall vergewaltigt wird. Ein klassischer Fall von Täter-Opfer-Umkehr (Victim Blaming).
Catcalling, Dickpics und andere Formen der sexuellen Belästigung
Der aus dem Englischen stammende Begriff Catcalling wird verwendet, um verbale sexuelle Belästigungen ohne Körperkontakt zu beschreiben. Aufdringliche Blicke, Hinterherpfeifen, Kussgeräusche oder das Hinterherrufen anzüglicher Bemerkungen sind Formen des Catcalling im öffentlichen Raum.
Die sexuelle Belästigung von Frauen spielt sich aber nicht nur in der analogen Lebenswelt ab. Vor allem in sozialen Netzwerken erhalten Frauen anzügliche Nachrichten wie beispielsweise plumpe sexuelle Annäherungsversuche und grenzüberschreitende Kommentare zu ihrem Körper.
Nicht zuletzt ist auch das Zusenden von Dickpics eine Form der Belästigung, die ohne körperliche Berührung auskommt. Das Problem bei Catcalling: verbale sexuelle Belästigung – egal ob online oder offline, ist in Deutschland bisher nicht strafbar. Nach § 185 StGB können zwar Beleidigungen zur Anzeige gebracht werden, die die Ehre verletzen. Catcalling ist jedoch in den meisten Fällen ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung und nicht auf die Ehre.
Im Gegensatz dazu ist das Verschicken von Dickpics sehr wohl eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden kann. Hier greift nämlich der Paragraph 184 StGB, der sich mit der Verbreitung pornografischer Schriften befasst.
Weitere Informationen
Weitere Informationen zu Dickpics und Cyberflashing, aber auch zu anderen Formen bildbasierter sexueller Gewalt gibt es in diesem klicksafe Themenbereich.
Bodyshaming
Bodyshaming meint die Diskriminierung oder Beleidigung von Menschen aufgrund körperlicher Merkmale. In sozialen Netzwerken wie Instagram, TikTok oder YouTube werden Schönheits- und Schlankheitsideale massiv inszeniert. Egal ob zu dick, zu dünn, zu faltig, zu klein, zu groß, zu hässliche Knie oder Schamlippen: Heutzutage gibt es nichts an einem Körper, was nicht als angeblich hässlich diffamiert werden kann.
Zur negativen Beurteilung kommt es aber nicht nur von außen: das ständige Vergleichen mit Anderen und permanente Selbst-Kritik ziehen oft eine lebenslange Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper nach sich. Befeuert wird diese Unzufriedenheit schon seit jeher durch die Medien. Soziale Medien verschärfen allerdings die Problematik. Beautyfilter, die enorme Reichweite von Trends und nicht zuletzt die eingesetzten Algorithmen der Anbieter tragen dazu bei, dass Frauen kontinuierlich Schönheitsideale eingeträufelt werden, die sie nur schwer erreichen können und die manchmal sogar gesundheitsgefährdend sind.
Weitere Informationen
Welche Auswirkungen die Nutzung von digitalen Medien auf das körperbezogene Selbstbild von jungen Menschen hat, wird bei klicksafe in diesem aktuellen Artikel besprochen.
Hasskommentare
In den Kommentarspalten der Social Media-Kanäle sind reichlich Hass und Hetze gegen Frauen zu finden. „Du bist so hässlich, Bitch“, „Du bist doch total gestört, geh zum Psychiater“, „Du gehörst wieder mal richtig durchgef***“, „Geh‘ Dich erhängen“ … das sind nur einige (vergleichsweise harmlose) Beispiele, wie Frauen im Netz auf Äußerlichkeiten reduziert, für psychisch krank erklärt, sexualisiert und im schlimmsten Fall sogar massiv bedroht werden.
Frauen, die in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit stehen, werden dabei besonders häufig zum Ziel von Hetzkampagnen. Egal ob Politikerin, Aktivistin, Schauspielerin oder Journalistin: Frauen, die offen ihre Meinung zu kontroversen Themen äußern, werden mit Vergewaltigungsfantasien konfrontiert, oder ihnen wird der Tod gewünscht.
Auch Frauen, die in vermeintlichen Männerdomänen unterwegs sind, schlägt der blanke Hass im Netz entgegen. Wenn die Reporterin Claudia Neumann ein Fußballspiel kommentiert, sind gleichzeitig 3 Personen angestellt, um die schlimmsten Hasskommentare im Netz zu löschen.
Eine Studie von Plan international aus dem Jahr 2020 stellt fest, dass auch Women of Color, queere Frauen oder Frauen mit Behinderung in besonderem Maße von sexistischen Hasskommentaren betroffen sind. Bei diesen Personengruppen überschneiden und verstärken sich verschiedene Diskriminierungsebenen und lassen sich nicht mehr voneinander unterscheiden (Intersektionale Diskriminierung).
Bedrohungen und Beleidigungen sind laut Strafgesetzbuch strafbar. Nicht alles, was gepostet wird, ist durch die Meinungsfreiheit geschützt. Hassreden im Internet können verschiedene Straftatbestände wie Volksverhetzung, Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und Öffentliche Aufforderung zu Straftaten erfüllen.
Individuelle und gesellschaftliche Folgen
All diese Mechanismen – von der verbalen Agressivität bis hin zur sexuellen Gewalt – bestätigen und zementieren ein ungleiches Geschlechterverhältnis und patriarchale Gesellschaftsstrukturen.
Für die Betroffenen hat digitaler Sexismus und Gewalt oft drastische Folgen für die Gesundheit und Lebensgestaltung. Sie stehen mental und emotional unter Stress, haben körperlich spürbare Angst, fühlen sich ohnmächtig und ausgeliefert. Es entstehen Probleme in der Schule oder bei der Arbeit. Sie leiden unter einem geringen Selbstwertgefühl, haben weniger Selbstbewusstsein und entwickeln Essstörungen oder andere psychische Erkrankungen. Aber Scham und Schuldgefühle hindern die Frauen daran, sich Hilfe zu holen.
Laut oben genannter Studie von Plan International ziehen sich 19% der Betroffenen nach Beleidigungen und Beschimpfungen aus dem digitalen Diskurs zurück. Ganze 12% nutzen die Plattform, auf der ihnen sexistische Gewalt begegnet ist, gar nicht mehr. Das ist Silencing. Als Silencing bezeichnet man die Strategie, die durch Einschüchterung versucht, Menschen zum Schweigen zu bringen und aus Diskussionen zu drängen.
Silencing hat auch für unsere Demokratie drastische Folgen: Frauen, die sich zurückziehen, sind im Netz unsichtbar. Ihre Meinungen und Positionen können nicht mehr wahrgenommen werden. Durch ihren Rückzug wird die Fläche, auf der Hater*innen agieren können, größer. Rechtspopulist*innen und Extremist*innen wissen diesen Raum zu nutzen und suchen mit frauenfeindlichen Parolen Verbündete. Die Vielfalt der Meinungen wird zunehmend eingeschränkt. Und zuguterletzt hinterlässt eine faktische Minderheit von Menschen den Eindruck, als würde sie die Ansichten der großen Mehrheit wiedergeben.
Was können wir gegen Sexismus im Netz tun?
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Und doch bietet es gerade für Diskriminierung, Hass, Drohungen und Gewaltaufrufe einen besonders prädestinierten Rahmen. Täter können anonym bleiben und entsprechende Botschaften posten, liken oder weiterverbreiten, ohne ihre Identität preisgeben zu müssen. Und die weltweite Vernetzung ermöglicht es, innerhalb kürzester Zeit eine große Reichweite zu erlangen. Kontrollinstanzen und Rechtsmittel sind oft nicht vorhanden, greifen erst spät oder können umgangen werden.
Was können wir Frauen dennoch gegen Sexismus im Netz tun?
- Wir können uns wehren
Wehr Dich gegen sexistisches Verhalten im Netz! Wie Du Mansplainern gekonnt entgegentrittst, erfährst Du beispielsweise hier. Weitere gute Tipps zur Counterspeech bei findest Du außerdem unter diesem Link. Hasskommentare mit Straftatbestand solltest Du melden. Wie das geht und wohin Du Dich wenden kannst, kannst Du hier nachlesen. Weitere Infos zu Hatespeech bekommst Du im klicksafe Themenbereich. - Wir können uns gegenseitig unterstützen, solidarisieren und vernetzen
Auch wenn Du Hasskommentare nur mitliest, solltest Du Dich an die Seite der Betroffenen stellen und einschreiten. Hier gelten die gleichen Tipps und Verhaltensregeln wie für Betroffene (s.o.). Und die Chalk Back-Bewegung ist ein gutes Beispiel dafür, wie vernetzte Frauen sich mit bunter Kreide Verhör verschaffen können. - Wir können uns Hilfe holen
Wenn Dich sexitische Angriffe verstören oder wenn es Dir nicht gut geht, sprich mit Deinen Freund*innen, oder jemandem aus der Familie. Alternativ kannst Du auch eine Beratungsstelle aufsuchen – mit Deinen Erfahrungen alleine bleiben solltest Du jedenfalls nicht. - Wir können unsere Social Media Feeds mit Empowerment fluten
Schau Dir genau an, wem Du folgst! Sorgt Dein Feed dafür, dass Du Dich gestärkt und gut (informiert) fühlst? Inspiriert er Dich oder gibt er Dir dazu Anlass, ständig an Dir selbst herumzukritteln? Guter Content ist immer auch Geschmackssache, aber vielleicht ist hier was für Dich dabei: @maedelsabende, @wastarasagt, @lisa.ortgies, @laechelnundwinken - Wir können damit beginnen, uns und unseren Körper wertzuschätzen – genau so, wie wir sind
Das tut nicht nur uns, sondern auch anderen Frauen gut. Denn wer unzufrieden mit sich ist, wertet nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen ab, um sich selbst besser zu fühlen. #bodypositivity, #bodyneutrality - Wir können (unseren) Kindern und Jugendlichen ein Vorbild sein
Nur wenn wir uns für Frauenrechte stark machen, verändert sich auch etwas. Das zeigen beispielsweise die Ermittlungen des BKA und der Stattsanwaltschaft Frankfurt a.M. gegen frauenfeindliche Postings mit strafrechtlicher Relevanz – einschließlich der bundesweiten Razzia von gestern (der SPIEGEL berichtete). Und damit Mädchen die Ungleichbehandlung der Geschlechter nicht in ihr eigenes Rollen- und Werteverständnis übernehmen, müssen wir unseren Kindern ein Beispiel geben – sowohl im Kleinen und Privaten, als auch in öffentlichen Räumen.