Social Media und politische MeinungsbildungWarum rechtspopulistische Parteien reichweitenstärker sind

Social-Media-Plattformen werden erfolgreich genutzt, um rechtsextreme, rassistische und antidemokratische Inhalte zu verbreiten - auch von Parteien wie der AfD. Eine aktuelle Analyse zeigt, wie reichweitenstark die AfD soziale Medien im Vergleich zu anderen Parteien nutzt. Wie kommt es zu diesem Erfolg? Und welche Kompetenzen brauchen junge Menschen, um manipulative Social-Media-Inhalte kritisch einzuordnen?

Soziale Medien sind eine wichtige Informationsquelle für junge Menschen. Das zeigt u.a. die JIM-Studie 2023: Im Durchschnitt informieren sich rund 30 Prozent der 12- bis 19-Jährigen auf YouTube (33 Prozent), TikTok (30 Prozent) und Instagram (29 Prozent) über das aktuelle Weltgeschehen. Anlässlich der Bundestagswahl 2021 nutzten85 Prozent junger Menschen in Deutschland Social-Media-Plattformen, um sich über den Wahlkampf zu informieren. Inhalte von Parteien spielten dabei jedoch kaum eine Rolle, wie eine Studie zum politischen Informationsverhalten und Engagement junger Menschen in Deutschland aus dem Jahr 2022 analysiert. Das liegt auch daran, dass sich die Parteienlandschaft in Deutschland kaum auf jugendaffinen Plattformen wie TikTok widerspiegelt. Viele Fraktionen und aktive Politiker*innen sind entweder gar nicht oder kaum auf Social Media sichtbar. Die Ausnahme bildet die AfD, die TikTok, YouTube & Co. gezielt reichweitenstark nutzt, um vor allem junge Menschen zu erreichen. jugendschutz.net identifizierte TikTok bereits im Lagebericht Rechtsextremismus 2020/2021 als Trendplattform, die auch von Rechtsextremen gezielt genutzt wird. Dieser Einfluss auf junge Menschen ist besonders relevant vor dem Hintergrund der Europawahl 2024, bei der in Deutschland erstmals über eine Millionen Personen ab 16 Jahren wählen dürfen.

Reichweite der AfD auf Social Media im Vergleich zu anderen Parteien

Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje hat in den Jahren 2022 bis 2023 analysiert, wie Parlamentsparteien in Deutschland Social-Media-Plattformen nutzen und welche Reichweite sie dabei erzielen. Im Fokus seiner Betrachtung steht die AfD. Aus seiner Analyse geht hervor, dass Inhalte der AfD in sozialen Medien wesentlich häufiger angesehen, geteilt, kommentiert und geliked werden.

Auf TikTok wurden die Inhalte der AfD 430 Millionen Mal aufgerufen. Die Beiträge der SPD, CSU, FDP und Linke zusammen kamen lediglich auf etwa 140 Millionen Aufrufe.

Jedes Video der AfD wurde auf TikTok durchschnittlich 430 Tausend Mal angezeigt (Impressionen), die einzelnen Videos der FDP etwa 53 Tausend Mal, die der SPD sogar nur 22 Tausend Mal.

Im Dezember 2023 hatte die AfD auf Facebook 529 Tausend, auf YouTube 241 Tausend Fans und Abonennt*innen. Alle anderen Parteien liegen weit über die Hälfte darunter, wie auch eine Grafik des ZDF verdeutlicht.

Lediglich auf Instagram haben die Grünen mehr Follower als die AfD. Jedoch interagieren Follower der AfD deutlich häufiger mit Posts, also teilen oder kommentieren die Beiträge beispielsweise: 3,6 % der Follower*innen interagieren durchschnittlich mit Posts der AfD, bei der CSU interagieren 1,9 % der Follower*innen, Linke und Grüne kommen auf je 1,8 % Interaktionsrate.

Und die Reichweite der AfD wächst weiter, wie insbesondere das Beispiel TikTok zeigt. Hatte die Bundestagsfraktion im Dezember 2023 noch etwa 360 Tausend Follower*innen, sind es Anfang März 2024 schon 407 Tausend Nutzer*innen, die der AfD folgen. Während Maximilian Krah, dem AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl im Juni 2024, auf TikTok aktuell über 38 Tausend Menschen folgen, sind es beispielsweise bei der Spitzenkandidatin der SPD, Katharina Barley, nur knapp über 4000 Follower*innen. 

Zudem sorgen rechte Bewegungen wie die „Junge Alternative“ oder die „Identitäre Bewegung“ sowie rechtsextreme Communities auf Social-Media-Plattformen für eine weitere Verbreitung der AfD-Inhalte. Ein wesentlicher Verbreitungsfaktor liegt aber auch in bestimmten Kommunikationstechniken populistischer und extremistischer Beiträge.

Provokation und Emotionalisierung erhöht Aufmerksamkeit in sozialen Medien

Falschnachrichten und Inhalte, die gezielt provozieren und emotionalisieren, verbreiten sich in sozialen Medien schneller als sachlich aufbereitete Beiträge. Sie werden häufiger geteilt und kommentiert und vom Algorithmus als relevanter Content eingestuft. Infolgedessen werden diese Beiträge öfter angezeigt und so immer weiterverbreitet. In den kurzen Social-Media-Clips oder Memes ist zudem die Zeit begrenzt, in der Zusammenhänge und Erklärungen transportiert werden können. Nutzer*innen entscheiden oft in den ersten Sekunden, ob sie ein Video weiterschauen möchten oder wegscrollen. Populistische Beiträge bedienen sich daher bestimmter rhetorischer Mittel, um zu polarisieren und Emotionen anzusprechen. Inhaltlich steht dabei die Schaffung von Feindbildern und die Selbstinszenierung „als wahre Vertreter des Volkes“ im Vergleich zu insbesondere der Regierung im Fokus. Es wird beispielsweise gezielt Angst geschürt, Personen und Personengruppen ausgegrenzt und mit emotionalisierenden Aussagen gespielt, z.B. „Die Regierung hasst dich!“. Komplexe Themen werden meist stark verkürzt, verzerrt oder falsch dargestellt, insbesondere wenn es um Migrationsthemen oder Klimapolitik geht. Junge Menschen benötigen Informations- und Meinungsbildungskompetenz sowie Vorwissen zu politischen Themen, um solche Inhalte einzuordnen, Widersprüche oder auch Desinformationen zu erkennen.

MAITHINK X – Rhetorik des Populismus

Mai Thi Nguyen-Kim beschäftigt sich in einer aktuellen Folge ihres Formats „MaiThin X – Die Show“ mit unterschiedlichen rhetorischen Mitteln des Populismus. Alle thematisierten Methoden finden sich auch unter: https://populismus.online.

Meinungsbildung von Jugendlichen in der digitalen Welt stärken

Historisch betrachtet ist es nicht neu, dass die jeweils modernen Medien ihrer Zeit gezielt für die Verbreitung politischer Propaganda und rechtsextremistischer Ideologien genutzt werden. Während die aufstrebenden Nationalsozialisten Anfang der 1920er-Jahre das Radio als wichtigen Verbreitungskanal für ihre Ideologie und später den Film als Massenmedium für nationalsozialistische Propaganda nutzten, knüpfen Rechtsextremisten und Populisten heute über soziale Medien an die Lebenswelten, Interessen und Sehgewohnheiten junger Menschen an. Gerade jüngere Menschen können durch Manipulationsstrategien und Desinformation nachhaltig beeinflusst werden. Sie können problematische Welt- und Menschenbilder entwickeln, die demokratischen Grundwerten entgegenstehen. 

Kinder und Jugendliche benötigen Unterstützung, um politische Inhalte auf Social-Media-Plattformen kompetent und kritisch einordnen und Manipulationsstrategien sowie Desinformation erkennen zu können. Wie Sie Jugendliche in ihrer Informationskompetenz unterstützen können, erfahren Sie in unserem Artikel.

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